Das scheinbar große Problem bei den Elektroautos ist die Reichweite. Auch wenn die meisten täglich niemals auch noch in der Nähe des „Reservetanks“ der Batterie kommen würden, kommt VW mit einem zusätzlichen Angebot diesem Problem nach. Der e-Golf muss sich mit 190 km Reichweite nicht verstecken. Bei einem ersten kurzen Test konnten wir den Serien-Stromer in Berlin erfahren.
In den ersten drei Jahren haben e-up und e-Golf Kunden die Möglichkeit einen kostenlosen Leihwagen für lange Strecken (inkl. Kilometer Kontingent) für bis zu 30 Tage zu bekommen. Ein sinnvolles Angebot, wenn es doch mal zur weit entfernten Verwandtschaft geht. Fast 200 km schafft der e-Golf zwar auch nur im Labor, aber gute 160 Kilometer sind ohne weitere Probleme drin. Die 24,2 kWh fassende Batterie ist in maximal 13 Stunden über die Haussteckdose aufgeladen. Mit einer optionalen Wallbox (lädt mit 3,6 kW) verkürzt sich die Dauer auf acht Stunden.
Vorher noch per App auf dem Smartphone checken, wie groß die Ladung ist bzw. diese noch ausreicht, einsteigen und losfahren. An sich nichts weiter Neues. Auto fahren ohne Geräusch und für die Stadt perfekt. Auch eben schnell auf die Autobahn macht der Strom-Wolfsburger problemlos mit. Bis zu 140 km/h sind möglich, was doch durchaus ausreicht. Der wirklich große Unterschied sind die verschiedenen Rekuperationsmodi. D1, D2, D3 und B stellen verschiedene Stärken der Energierückgewinnung* dar. Im Modus B sowie D3 müssen sogar die Bremslichter aktiviert werden, denn es werden bis zu 40 bzw. 35 kW zurückgewonnen (genaue Verzögerungswerte hierzu stehen noch aus). Unvorbereitete Beifahrer hebt dieser nicht erkennbare Bremseingriff schnell aus den Sitzen. D2 und D1 sind mit der Rekuperation bei Hybridantrieben vergleichbar, hier wird nur durch ein leichtes Bremsmanöver Energie wieder in die Batterie eingespeist. Der normale Drive Mode kommt dem Segeln gleich, fast frei von allen Kräften – abgesehen von den Reibungswerten am optimierten 205er Reifen – stoppt der e-Golf so auf gerader Fahrbahn nicht wirklich.
Dazu kommen auch noch zwei Eco Programme die unterschiedlich reglementiert sind. „Eco“ reduziert die Leistung der E-Maschine auf 70 kW (Standard: 85 kW) sowie das Anfahrdrehmoment auf 220 Nm. Des Weiteren wird die Pedalkennlinie verändert und die Leistung der Klimaanlage runtergeschraubt. Die Maximalgeschwindigkeit sinkt auf 115 km/h. „Eco+“ geht einen enormen Schritt weiter und stellt die Klimaanlage komplett aus. Nur die Lüftung bringt noch Frischluft in den Innenraum, gekühlt wird gar nicht mehr. Die Elektronik wird auf 55 kW Leistung reduziert, das Antriebsmoment auf 175 Nm. Deutlich werden diese Einsparungen besonders im Reichweitenrechner, der transparent einige Kilometer zusätzliche Laufleistung prognostiziert. Fahrspaß ist das mit Sicherheit nicht mehr, auch nicht in der Stadt – dort ist ohnehin der e-up die bessere Wahl – doch für den Notfall gibt es noch die Möglichkeit über den Kick-Down diese Einschränkungen zu umgehen und wieder die volle Leistung abzurufen.
Obwohl er nicht als reines Stadtauto konzipiert ist und eben auch mehr bzw. weiter kann als das aktuell Durchschnitts E-Auto bewegt er sich flott und „spritzig“ durch Berlin. Vom Start weg 270 Nm Antriebsmoment aus dem 85 kW (115 PS) E-Motor sorgen für Freude an jedem Ampelstart. Dazu denkt Volkswagen nicht nur an Langstreckenfahrer sondern gibt auch außerordentlich viel Garantie. 8 Jahre auf die Batterie oder eben 160.000 Kilometer Laufleistung. Bei defekten Zellen in der Batterie können diese einzeln repariert oder getauscht werden, es muss nicht der gesamte Batteriesatz bestehend aus 264 Zellen ausgewechselt werden. Dabei gibt es keine getrennten Verträge, das Auto kann (inkl. Batterie) entweder direkt für 34.900 Euro gekauft werden oder es wird ein Leasingvertrag abgeschlossen.
Die Technik lässt sich Volkswagen extrem gut bezahlen, wenn zum Vergleich ein weitaus fahrfreudiger Golf GTI doch bereits ab rund 30.000 Euro zu haben ist. Selbst mit der löblich langen Garantie sowie dem Zusatzangebot des kostenlosen Mietwagens ist der Preis gemessen an der, laut VW hohen Ausstattung, noch etwas zu hochpreisig. Die etwas fad gestalteten Sitze können materiell nicht mit vergleichbaren Golf Modellen mithalten, zudem ist das synthetische Gefühl nicht wirklich verlockend hier lange Platz zu nehmen.
Eines haben die Wolfsburger demgegenüber verstanden. Elektro ist nicht mehr Individualismus. Keiner will sich unbedingt als „Öko“ verschreien lassen und direkt auf den ersten Blick zeigen, dass er einen motorlosen Kasten fährt. Der e-Golf basiert genauso auf dem MQB wie der GTI, der R und auch etwa ein Skoda Octavia. Es ist noch immer ein Golf, der durch zarte Veränderungen, etwa an der Front mit aerodynamisch verbesserten Teilen wie Kühlergrill oder Stoßstange auskommt. Die LED-Tagfahrlicht-Streifen sind ebenso beim e-up das Hauptaugenmerkmal der Elektromodelle. Auch ein e-Golf bleibt noch irgendwo ein Golf (der siebten Generation) und das lässt ihn schon fast gar unscheinbar in der Masse untergehen – abgesehen vom leisen gleiten des fehlenden Motorgeräuschs.
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*Brake-Blending: ein Prozess, bei dem niedrige Verzögerungen allein durch ein Bremsmoment der e-Maschine erzeugt werden. Stärkere Verzögerungen werden indes durch ein gemeinsames Bremsmoment der e-Maschine und der hydraulischen Bremsanlage realisiert.
Text: Fabian Meßner
Fotos: Fabian Meßner
8 Gedanken zu „Aus Kompakt-Primus wird Primus-Stromus? VW e-Golf Kurztest“
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