Erst einmal ausschlafen. Kannste vergessen! Über 400 km stehen am frühen Freitagmorgen noch auf der Soll-Seite. Fertig machen, Frühstücken und den Check-Out innerhalb von 20 Minuten abwickeln, darin sind wir erprobt. Doch die Ernüchterung folgt bereits wenig später: mein werter Kollege hat vorige Nacht zwar alle Ladekabel angeschlossen und das Auto verriegelt, aber – dem kraftaufreibenden Tag geschuldet – komplett vergessen die Ladesäule überhaupt erst einmal zu aktivieren. Da stehen wir nun mit 18 km Restreichweite, was einer Ladung von 13 % entspricht, und einer noch immer nicht funktionierenden SIM-Karte. (Letzteres Problem behob sich allerdings von selbst als man den twitter-Account von vodafone unaufhörlich mit Nachrichten bombardierte. Danke Jungs, an dieser Stelle.)
Was würde man jetzt normalerweise tun? Weinen, Verzweifeln oder Fluchen? Nein, wir sind echte Männer. Wir haben zwar keinen Hammer dabei mit dem man(n) Dinge kaputt oder auch ganz machen kann, nein, wir haben etwas Besseres am Start: ein mobiles Schnellladegerät des Schweizer Kleinunternehmens Design-Werk, welches sich auf die Elektromobilität und innovative Produkte eingeschossen hat um den Alltag der Stromer zu vereinfachen. Neben eigenen Prototyp-Fahrzeugen wird eben auch Zubehör wie diese MDC hergestellt.
Da unser Nissan Leaf mit der Standard-Ladesystem (Typ 1, 3,6 kW) ausgestattet ist, wäre ein normaler Vorgang über Schuko oder Typ 2 der sichere Tod des Roadtrips und würde die Verfehlung des Ziels am WAVE-Rekordversuch teilzunehmen garantieren. Doch wir haben ja unseren Helfer dabei *Schweißperlen abwisch*. Der mobile Schnelllader wird mittels handelsüblichem Typ 2-Ladekabel (Eingangsseite) und einem CHAdeMO-Kabel auf der Ausgangsseite zwischengeschaltet. Dadurch können wir (fast) die kompletten angebotenen 22 kW seitens der Säule nutzen. Es wird in die CHAdeMO-konforme Form ausgegeben während alle drei Phasen genutzt werden. Ein einfacher Knopfdrück genügt um den Schnellladevorgang zu starten. Keine 60 Minuten benötigt eine vollständige Ladung – abhängig natürlich von der Betriebstemperatur der Batterien, der Spannung und Stromstärke der jeweiligen Säule.
Mit wenig Verzögerung hängen wir unserer Planung nun hinterher und eigentlich hätten wir den Rückstand aufholen können. Konjunktiv. Wir quatschen mit anderen Teilnehmern des WAVE-Weltrekordkorsos, die wir auf dem Weg nach Berlin an öffentlichen Ladesäulen treffen. Shops, Autohäuser und Privatperson. Kunterbunt durcheinander gewürfelt, aber mit allen doch irgendwie verbunden. Wir veranstalten Ladewettbewerbe, optimieren, zeigen uns bedenklich und passen unsere Strategie weiter an: Fahrttechnisch wie auch Ladetechnisch. Es gilt fortan Tempolimit 95 km/h dafür setzen wir auf den Langstreckelademodus, der die Akkus schnellstmöglich auf 80 % Kapazität bringen soll. Das reicht um bei jedem Leg der Tour etwas über 100 km abzureißen bevor RWE, TheNewMotion oder smartlab-Säulen mit ihren verspielten Firmenlogos wieder zur Karte bitten. Dem Wunsch kommen wir nach: die drei verschiedenen Anbieter haben wir erfolgreich und ganz unkompliziert getestet. Jede Tanksäule ist anders aber grundsätzlich kinderleicht zu bedienen: Anweisungen sind klar, der Strom fließt und abgerechnet wird entweder über Kundenkarte oder Vertragsnummer. Wo wir keine Probleme haben, haben sie dafür heute andere: die Ladesäule von TheNewMotion hat nach einigen Minuten einem Renault ZOE den Saft verweigert und einem weiteren Mitstreiter aus dem französischen Lager musste mittels Adapter ausgeholfen werden, der auch im Regelfall nur mit weit unter 22 kW hätte tanken können. Shit happens sometimes, all the time. Murphys Law eben.
Die Bestimmung des nächsten Reiseziels lag uns nun im Blut, Handy raus, RWE-App angeschmissen, wahlweise auch die Warnung des Navis für Ernst genommen, möglichst bald eine Tanksäule aufzusuchen und diese via simpler Bestätigung als nächstes Ziel in die Route aufzunehmen oder auch der Blick auf das gute, alte Blatt Papier waren nur einige der Möglichkeiten, die uns EV-Nutzern zur Verfügung stehen. Ein guter Tipp ist hierbei der Routenplaner von GoingElectric.de, der verschiedenste Ladesäulen mit deren Ladeanschlussarten auflistet. Praktisch, dass sogar nach kW-Zahlen gefiltert werden kann – somit sind die Typ 2-Stecker mit geringem Durchsatz direkt ausgemerzt! Es läuft und surrt. Meine Fahrweise hat sich innerhalb von zwei Tagen komplett verändert, Daniel lobt und vier Bäume und ein kleiner Zögling sind die höchste Auszeichnung für meine Leistung. Unterbewusst tanze ich die Sägezahntechnik, die Synapsen und Sinnesorgane folgen. Man was bin ich stolz! Verdient habe ich mir damit die drei Sandwich-Eiscremés dicke… Daniel habe ich großzügiger weise eines abgegeben – schließlich muss man ja auch auf die Kalorien achten :P
Damit sind wir auch wieder beim Thema: wir schaffen es am Ende des Tages einen Mitstreiter zu überholen, weil wir unseren grauen Leaf nicht soviel Saft schlürfen ließen wie die Mitglieder des EV-Ultra-Blocks. Ein leicht höheres Reisetempo und den Vorteil nicht ewig auf die letzten paar % Stromleistung zu warten (wohlgemerkt, diese lausigen Strommengen brauchen Ewigkeiten), lassen uns 42 km vor Erreichen unserer Unterkunft die jungen Burschen überholen. Ha, gezeigt wo der Leaf seine Stärken hat und wie man trotz unserer Fresssucht, die bekanntlich Stunden vergeudet, noch am selben Tag im Hotel ankommt. Damit haben wir innerhalb von 27 Stunden mehr als 630 km. Es gibt sicherlich viele Teilnehmer, die von noch weiter her anreisen wie z. B. Oslo oder Italien, aber ich für meinen Teil habe hier einiges an Wissen und Erfahrung aufnehmen können, was mir neue Ansichten in die Elektromobilität gewährt. Es hat sich schon jetzt gelohnt!
Wir haben das Ziel erreicht! Jetzt hauen wir uns aber erst einmal auf’s Ohr. Wieder eine kurze Nacht, dafür ein Erlebnis, dass in Erinnerung bleibt und noch lange nicht zu Ende geht. Immerhin gilt es einen Weltrekord zu brechen und den leisen Bruder der Formel 1 zu besuchen! Weitere Updates gibt’s natürlich den ganzen Tag über auf den sozialen Kanälen unter dem Hahstag #leaf4wave.